Beate Wolf

Rückblicke - Einblicke

Zum Werk von Werner Zeh

Bereits in den fünfziger Jahren hat Zeh als 13jähriger damit begonnen, Gemälde berühmter Künstler wie Cézanne oder Franz Marc zu kopieren. Bilder regten ihn nicht allein zur Anschauung an oder dienten der Erbauung, sondern sie lösten den Impuls aus, selbst aktiv den Meistern nachzueifern. So entstand zum Beispiel die Kopie nach Franz Marcs bedeutendem Gemälde „ Die roten Pferde“ (1911). Marc gehörte wie viele seiner zeitgenössischen Freunde zu den von den Nazis verfemten Künstlern, deren Werke beschlagnahmt wurden und heute in alle Welt zerstreut sind oder als verschollen gelten. „Die roten Pferde“, ein Schlüsselwerk des Künstlers, gelangte 1939 über Luzern in amerikanischen Privatbesitz und befindet sich inzwischen im Busch-Reisinger Museum der Harvard University in Cambridge, Mass. Zeh hat folglich in jungen Jahren nach Druckvorlagen Kopien angefertigt und dabei vor allem jene Bildwerke der Moderne ausgesucht, die unter dem Hitlerregime aus dem Leben der Deutschen verbannt wurden. Es mag kein Zufall sein, dass ein Jugendlicher sich zu einem Vertreter und Mitbegründer der Münchner Künstlergruppe „Blauer Reiter“ hingezogen fühlte, spiegelte doch die Malerei von Franz Marc, Wassily Kandinsky oder Paul Klee das Unkonventionelle des Gestaltens wider, das zu Beginn des 20. Jahrhunderts als bahnbrechend galt und in Kandinskys programmatischer Schrift „Über das Geistige in der Kunst“ treffend als innere Notwendigkeit charakterisiert wurde. Schlug sich der Anschluss an die durch Krieg und Verfemung unterbrochene Kunsttradition der Avantgarde zunächst in Kopien nieder, so hat doch bereits jene frühe Auseinandersetzung ein freies Kunstverständnis befördert, das Zeh maßgeblich prägte.

Der Zugang zu Marcs Malerei, die sich von der Nachahmung löst und in starken Formen und kräftigen Farben artikuliert, musste zwangsläufig Fragen nach der Bedeutung von Kunst aufwerfen. Sie hat Zeh in der Folge dazu veranlasst, mit verschiedenen Stilen und Techniken zu experimentieren. Die Freiheit des Bildens entdeckt zu haben, zeichnete dergestalt den Weg zu einer persönlichen Formensprache voraus, den er bis heute verfolgt.

Folgerichtig setzte in den 1970er Jahren eine Phase des freien Experimentierens ein, in der Zeh formale und inhaltliche Grenzen auslotete, ohne sich vom Gegenständlichen zu lösen. Deutlich wird in diesen frühen Arbeiten die vordringliche Beschäftigung mit dem kompositorischen Aufbau, mit der ausgewogenen Verteilung von Formen und Farben. Besonders augenfällig wird dies in den „Photocollagen“, in denen das Abbild als ein mittels Lösungsmittel hergestellter Abdruck in einer zuweilen surrealistisch anmutenden Bildlandschaft zentral eingebettet ist. Die Realität findet dergestalt in einer neuen Bildrealität ihre Heimat, in der durchaus auch abstrakte Formen Einzug halten. Gleichermaßen verfährt Zeh mit der Schrift, indem die Buchstaben über abstrakte Farbflächen tanzen, sodass sich deren Sinn erst beim genauen Betrachten erschließt.

In jenen Bild- oder Textcollagen arbeitete Zeh vorwiegend auf Papier und setzte zuweilen die Spritztechnik oder Monotypie ein, die einen hohen technischen Anspruch erfordern. Hierzu kam ihm die solide handwerkliche Ausbildung zugute, die er vor allem in den sechziger Jahren in der Mannheimer Kunstschule Rödel erlangte. Sein Lehrer Karl Rödel stand in der Tradition des Bauhauses von Weimar, dessen Ziele er sich zeitlebens zu eigen machte. Wie die Künstler am Bauhaus strebte auch er die Verbindung von Kunst und Kunsthandwerk an, um – ausgehend von dieser Einheit – ein neues Bewußtsein für Kreativität und Qualität zu entwickeln. Rödel war Lehrer auf der dem Bauhaus nahestehenden Ausbildungsstätte Burg Giebichenstein bei Halle, bevor er 1954 seine eigene Kunstschule in Mannheim gründete. Dieser dort fortgeführten Tradition ist Zeh bis heute verpflichtet geblieben, wie nicht nur seine Arbeiten veranschaulichen, sondern auch die lebenslange Freundschaft, die sich aus der Lehrer-Schüler Beziehung entwickelt hat. Dank Rödel lernte Zeh den handwerklichen Anspruch als Grundvoraussetzung seines künstlerischen Schaffens schätzen. Umso erstaunlicher ist jedoch, dass er Karl Rödels Vorliebe für Materialcollagen nicht einfach aufnahm, sondern bereits in frühen Jahren auf der Suche nach einer eigenen, individuellen Collagetechnik war. Anstatt, wie viele Materialkünstler, den Sand oder Stoff auf den Bildträger zu kleben, strebte Zeh von Anfang an eine andere organische Haftung der Materialien an. Von 1982 bis 1985 experimentierte er mit Binde- und Lösungsmittelsubstanzen, die er den Trockenpigmenten beimischte. Die mit Farbe getränkten Materialien konnten so ohne Klebstoffe mechanisch durch Pressen auf die Bildfläche aufgebracht werden. Seit 1985 bevorzugt Zeh daher Holzplatten als Bildträger, um den mechanischen Druck und die Schwere der Farbmaterien aufzufangen.

Inhaltlich ging und geht es Zeh bis heute darum, die Aussage seiner Bilder über deren Kategorisierung in eine Stilrichtung zu stellen, weil die Einordnung in einen kunsthistorischen Ismus für ihn zwangsläufig Einengung bedeuten würde. Er bezeichnet seine Kunst daher zu Recht sowohl als abstrakt als auch als gegenständlich. Beide bildnerischen Hauptstränge zu vereinen bleibt bei all seinen stilistischen Entwicklungen der letzten dreißig Jahre ein wesentliches Merkmal seiner Kunst, wobei das Abstrakte und Gegenständliche in den frühen Werken deutlicher voneinander abgesetzt wirkt, während in jüngster Zeit beide Pole sich mehr und mehr in sublimen Annäherungen zu poetischen Bildereignissen steigern.

Wird die Frühphase überwiegend von graphischen Arbeiten mit gegenständlichen Inhalten beherrscht, so entstehen parallel zu seiner technischen Perfektionierung seit Mitte der achtziger Jahre Materialbilder und Papierarbeiten mit zunehmend freier Farb- und Formwahl. Erlebte Wirklichkeit tritt materialisiert ins Bild. Sie dient als Quelle der Inspiration, die Zeh auf seinen zahlreichen Reisen immer wieder neu entdeckt.

1985 entstehen erste Bilder, in denen Zeh die zweidimensionale Bildfläche erweitert. Auf einen vorbereiteten Bildgrund appliziert er in Farbe getränkte Stoffe und Papiere, deren Materialien eine Symbiose mit dem Bildträger eingehen. Als erste, noch auf Leinwand gearbeitete Materialcollage entstand so „Das Tuch“ (1985), wobei deren Bildtitel zwar auf das Material verweist, dieses jedoch bildkonstituierende Eigenschaften gewinnt, indem die Gewebe-Farb-Formen die Oberflächen beleben und in rhythmischem Farbwechsel zum Bildgrund stehen. Damit erweitert Zeh die Bedeutung des Gebrauchsgegenstandes um eine ästhetische Dimension, die dem Betrachter neue Sichtweisen eröffnet.

In der Folge wird daher der beschreibende Titel obsolet, hat doch das Material eine neue bildnerische Eigenwertigkeit erhalten. An seine Stelle tritt jetzt ein assoziativer Kunstname, dessen Sinn sich erst beim Betrachten erschließt. Als erste von Zeh als Materialbild bezeichnete Arbeit stellt „Das Tuch“ ein Schlüsselwerk dar, das nach langjährigen Experimenten einen Ausgangspunkt für seine künftigen Arbeiten markiert. Vorausgegangen war 1982 eine Spanienreise, auf der Zeh mit Bildern von Antoni Tàpies in Berührung kam.Tàpies’ Kunst, die kargen Materialien einen ästhetischen Reiz verleiht und den Assoziationsreichtum der Wirklichkeit aufdeckt, steht Zehs Malerei zweifellos näher als den formalästhetischen Ansätzen der Kubisten, der antikünstlerischen Haltung bei DADA, der Übersteigerung der Realität im Surrealismus oder den Psychogrammen im Informel. In all den genannten Stilrichtungen spielt die Collage als künstlerisches Ausdrucksmittel eine entscheidende Rolle. Der Vergleich macht jedoch deutlich, dass Zeh den historischen Entwicklungen eine eigene authentische Bildsprache gegenüberstellt, in der sich Erfahrungen und Eindrücke spiegeln. Augenfällig ist dies in Werken von 1990, in denen sich die orientalische Welt in Farben („Sousse“, Abb. 1), Schriftzeichen („Spiel der Winde“) oder Lineamenten („Sousse“) artikuliert.

Gedankenskizzen, die Zeh auf seinen Reisen nach Griechenland, Asien und Afrika anfertigte, konkretisieren sich nach seiner Rückkehr in phantastischen Bildwelten, deren ästhetischer Reiz zum Entziffern anregt. Mehr und mehr gewinnen die Materialassemblagen suggestiven Charakter, öffnen, wie in „Sarough“ und „Kirman“ aus dem Jahr 1991, Farbräume und rauhe Oberflächenreliefs Assoziationen von fernen, unbekannten Landschaften. Die weiten Bildräume laden dazu ein, die Topographie als Erlebnisreise wahrzunehmen und den Spuren ihres Urhebers nachzugehen. Die Titel der Bilder, die ab Mitte der 1990er Jahre auf die besuchten Orte verweisen, unterstützen dabei die richtige Fährtenaufnahme. So in „Marib“ (1995, Abb. 2) und „Massada“ (1997), wo mit Sand gemischte Pigmente Verwerfungen der Oberfläche erzeugen, schwarze Lavaströme und tiefblaue Farbschlieren die heißen Landstriche am Toten Meer und im Jemen aufleben lassen.

Mehr und mehr werden derart dichte, zuweilen dunkeltonige Farbmaterialbilder in den letzten Jahren von lyrischen Kompositionen abgelöst. So besitzen etwa Werke wie „Kumasi“ (2000) oder „Kardamili“ (2001) subtile Farb- und Formnuancen, die aus den applizierten Materialien herausgearbeitet sind. Meist sind dies Papiere oder Kartonagen, die die Farben unterschiedlich intensiv absorbieren. Die anschließend mit dem Pinsel bearbeiteten farblichen Übergänge, aufgespritzten Farbflecke oder freigekratzten Furchen beleben die Reliefstrukturen und verleihen der Materie eine Leichtigkeit. Jedes der Bilder besitzt seinen eigenen Farbklang, der nicht zuletzt auf das bereiste Land Rückschlüsse zulässt. Bali und Hong Kong haben Zeh Ende der neunziger Jahre zu einer Serie von zum Teil hochformatigen Bildern angeregt, in denen eine poetische Komponente vorherrscht. Diese ist wie am Beispiel von „Batur“ (1997, Abb. 3), „Yan Ma Tei“ (1998, Abb. 4) oder „Kowloon“ (1998, Abb. 5) auf die hellen Bildgründe und dünn aufgetragenen Farbschichten zurückzuführen sowie auf deren weiche, offene Konturen. Gerade die Nachbarschaft zum Weiß intensiviert die Leuchtkraft des jeweils bildbeherrschenden Rot oder Blau und verleiht diesen Arbeiten eine Schwerelosigkeit und Vitalität, die nicht zuletzt die Lebendigkeit des asiatischen Kontinents erahnen lassen.

Eindrücke von Afrika schlugen sich in jüngster Zeit in einer Reihe von Werken nieder, wie etwa im Bild „Auf dem Weg nach Mole“ (2000, Abb. 6) oder in der sechsteiligen Arbeit „Reise durch Ghana“ (2003, Abb. 7). Als Spurensucher sammelte Zeh afrikanische Erde, die er später in seinem Atelier als dinghaftes Relikt seiner Eindrücke auf der Fahrt nach Mole verarbeitet. Die Brauntöne und die mit Samen und Körnern übersäte Erde führen so eindrücklich die Trockenheit, aber auch die Fruchtbarkeit des Landstriches vor Augen. In der sechsteiligen Arbeit von 2003 greift Zeh zu neuen bildnerischen Lösungen, indem er eine Bildsequenz mit kleinen quadratischen Formaten aufbaut, deren dominierender Akkord von Schwarz, Rot und Weiß bestimmt wird. Trotz der kleinen Formate wirken die Bildräume jeweils in sich monumental und ergeben in ihrer Reihung einen skandierten Rhythmus, ein Pulsieren der Flächen und Tanzen der Formen.

Werner Zeh wurde für sein bisheriges Lebenswerk mit mehreren Preisen ausgezeichnet, so von der Orthodoxen Akademie von Kreta und vom Verlag Eugen Diedrichs in Köln. Im Jahr 1998 erhielt er den Arthur-Grimm-Kunstpreis des Neckar-Odenwald-Kreises. Die Etappen in seinem bisherigen Leben erscheinen rückblickend wie eine Zeitreise durch das Werk eines stets Suchenden. Zehs Arbeiten bieten ein Angebot an die Wahrnehmung, sie gewähren Einblicke in ein vielfältiges Schaffen, das weder voll und ganz seine Rätsel lüftet noch als Oeuvre abgeschlossen gelten kann. Vielmehr veranlasst die Summe der Einblicke in die Werke zur Annahme und Hoffnung, dass diesen noch viele neue folgen werden.

Zuerst erschienen in: Der Wartturm, Heimatblätter des Vereins Bezirksmuseum Buchen, September 2003

Frau Dr. Beate Wolf ist Kunsthistorikerin und an der Staatsgalerie Stuttgart tätig

zurück zur Textübersicht

 

Abbildungen zum Vergrössern anklicken!

1

2

3

4

5

6

7


impressum